Die scheinbare Vergrößerung von SONNE und MOND am Horizont
Die Größe von Sonne und Mond in Verbindung mit ihren Entfernungen von der Erde führen zu der wohl einmaligen Eigenschaft im Sonnensystem, dass beide Objekte für den Beobachter auf der Erde denselben Durchmesser haben. Im Durchschnitt sind das ca. 32 Bogenminuten.
Bedingt durch die elliptische Bahn der Erde um die Sonne und des Mondes um die Erde ist dieser Wert nicht konstant. Diese Tatsache können wir an Sonnenfinsternissen ablesen, bei denen ja der Mond die Sonne überdeckt. Wenn der Mond scheinbar kleiner ist als die Sonne, beobachten wir eine ringförmige Finsternis, ist er größer, so gibt es bei ihrem genauen aufeinandertreffen eine totale Finsternis. Ohne diese Ereignisse bleibt die Veränderung der Größe der Objekte für den Beobachter jedoch, ohne genaue Messung, unbemerkt. Dieser Tatbestand hat aber überhaupt nichts zu tun mit der scheinbaren Vergrößerung des Mondes oder der Sonne in Horizontnähe. Das hat andere Ursachen, auf die wir in der Folge eingehen wollen.
Steht man ohne Messgeräte im freien Feld und beobachtet am Horizont den Sonnen- oder Mond-Auf- oder untergang, so stellt man fest, dass die Scheiben der beiden Objekte in der Nähe des Horizonts viel größer sind, als wenn sie hoch am Himmel stehen.
Dabei wissen wir heutezutage aus Messungen, dass der Durchmesser der Scheibe zwischen Aufgang und Kulmination zum Beispiel, konstant ist und sich die Größe nur in nicht wahrnehmbaren Dimensionen und längeren Zeiträumen ändert. Haben wir es mit einer optischen Täuschung zu tun? Nun, der Grund für dieses Phänomen ist folgender.
Den Himmel über uns empfinden wir nicht als Halbkugel, die über uns gestülpt ist, sondern wie ein Gewölbe, dessen vertikale Ausdehnung kleiner ist als die Horizontentfernung.
Dieser Effekt führt zu dem Eindruck, die Scheibe wäre am Horizont größer. Wir haben es also hier mit keinem physikalischen Effekt, sondern mit einem rein psychologischen Phänomen zu tun. Diese scheinbare Abplattung des Himmels hängt allerdings von mehreren Umständen ab.
Bei bewölktem Himmel erscheint der Himmel flacher, besonders wenn die Wolken bis an den Horizont reichen. Auch in der Dämmerung erscheint der Himmel flacher. Der dunkle Sternenhimmel erscheint dagegen höher. Im Mittel erscheint der „Halbierungswinkel“ des Himmelsgewölbes (Halbierung des scheinbaren Bogens zwischen Zenit und Horizont) am Tag bei 22° und in der Nacht bei 30°. Beobachtungen auf dem Meer sind zuverlässiger, da man hier völlig freie Sicht hat.
Bei der scheinbaren Abplattung des Himmelsgewölbes spielt eine Rolle, dass wir die Höhen über dem Horizont zu groß schätzen! Die Bogenlänge wird vom Auge mit dem Höhenwinkel verwechselt! Der Punkt M so gewählt, dass scheinbar HM = MZ ist, liegt bedeutend tiefer als 45° über dem Horizont, demnach kommt es uns vor, als läge er auf der Mitte (siehe Abbildung 1).
Im Winter steht die Sonne zur Mittagszeit scheinbar ziemlich hoch, obwohl sie auf 49° nördlicher Breite z.B. nur 18 ° über dem Horizont steht. Im Sommer kommt es uns vor als stünde sie fast im Zenit, dabei steht sie auf derselben geographischen Position nie höher als 64 °.
Suchen Sie am Nachthimmel einen Stern, von dem Sie glauben, dass er ungefähr im Zenit steht. Drehen Sie sich dann um 180° und schauen sie wieder denselben Stern an. Sie werden verblüfft sein, wie weit unterhalb des Zenits er noch steht. Vermutlich liegt seine Höhe um die 70°, also 20° vom Zenit entfernt.
Der Effekt der scheinbaren Vergrößerung ist auffallender, wenn z.B. die Sonne über einer Ebene untergeht, als wenn sie hinter hohen Bergen untergeht. Auf See ist wie gesagt, ihre Vergrößerung gering. Betrachten Sie den Mond zwischen Daumen und Zeigefinger, oder die zu einem Rohr geformte Hand, er erscheint kleiner! Menschen, die nur auf einem Auge sehen, kennen die Vergrößerung in Horizontnähe nicht. Verschließt man ein Auge mit einer Augenklappe, sieht man die Vergrößerung zu Anfang noch, später aber nicht mehr. Ebenso wie Sonne und Mond, erscheinen auch die Sternbilder nahe am Horizont Größer.
Die scheinbare Vergrößerung von Himmelskörpern in Horizontnähe, erklärt man also mit der Abflachung des Himmelsgewölbes. Nach dieser Auffassung stellen wir uns Sonne und Mond genau so weit entfernt vor, wie das Himmelsgewölbe. Die tiefer stehende Sonne ist demnach um ein mehrfaches weiter weg, als die hochstehende Sonne. Dass wir sie demnach unter demselben Sehwinkel „a“ wahrnehmen, schreiben wir unbewusst der Tatsache zu, dass erstere Größer ist als letztere. (Bogen Z2 > Z1, siehe Abbildung ).
Z1/ Z2 = R1 / R2
Fazit:
Dort wo also das Himmelsgewölbe weit entfernt zu sein scheint, kommt uns die Sonnenscheibe Größer vor. Dabei spielt der Himmelshintergrund (Wolken, Dämmerung, Tag, Nacht) eine Rolle, in welcher Größe wir die Scheiben sehen. Der Himmelshintergrund beeinflusst die scheinbare Abplattung des Gewölbes.
Marcel Minnaert beschreibt in seinem Buch „Licht und Farbe in der Natur“ die Blickrichtungstheorie von Gauss. Es gibt wohl eine Reihe von Beobachtungen, die darauf hinweisen, dass die Form des Himmelsgewölbes und die damit verbundene scheinbare Vergrößerung des Himmelskörpers am Horizont hauptsächlich mit unserer Blickrichtung bezüglich unserer Körperhaltung zusammenhängen. Der Mensch ist offensichtlich im Laufe seiner stammesgeschichtlichen Entwicklung besser auf das sehen nach vorne eingerichtet, als auf das sehen hoch über ihm. Dies ist beim Schätzen von Entfernungen und Größen offenbar bedeutsam. Wenn der Vollmond hoch am Himmel steht, setzen wir uns in einen Schaukelstuhl oder auf den Boden und lehnen uns an eine schräge Fläche. In dieser stark rückwärts geneigten Haltung, bei der die Lage des Kopfes im Verhältnis zum übrigen Körper die gewohnte Haltung hat, erscheint uns der Mond merklich Größer. Richtet man sich schnell auf, so dass wir den Kopf nach oben neigen müssen, um den Mond zu sehen, erscheint er wieder kleiner. Umgekehrt erscheint der am Horizont stehende Vollmond wesentlich kleiner, wenn wir stehen und uns nach vorne beugen um den Mond zu beobachten.
Literatur: Licht und Farbe in der Natur , von Marcel Minnaert , Birkhäuser Verlag.
Willy Mahl 06/2000
Letzte Änderung am 2009-Mar-15
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